THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 37 - 2014   BOULEVARD   11.09.2014

 

Fetter Scheck für den "Siebenjährigen Krieg": EU und Ungarn unterzeichneten Vertrag über 24,5 Mrd. EUR Fördergelder

Am Donnestag unterzeichneten der scheidende EU-Kommissionspräsident Barroso und der ungarische Ministerpräsident in Brüssel das sogenannte Partnerschaftsabkommen über die EU-Mittel für die Budgetperiode 2014-2020. Orbán nutzte die Zeremonie für einen weiteren triumphalen Auftritt und verhöhnte Barroso und dessen Kommission nochmals gründlich, in dem er ihnen ihre Macht- und Wirkungslosigkeit bei der Verteidigung europäischer Grundwerte vor Augen führte.

Ungarn kann in den sieben Jahren bis 2020 in Summe bis zu 25,4 Milliarden Euro Fördergelder für Entwicklungsprojekte in einem weit gefassten Spektrum von Infrastruktur über Landwirtschafts- und Mittelstandsförderung bis hin zu Kultur, Umweltschutz und Erwachsenenbildung abrufen. Allerdings nur, wenn der ungarische Staat  bzw. die jeweiligen Projektpartner und Investoren selbst rund 9,4 Mrd. Euro als Eigenanteil beisteuern. Dieser Kofinanzierungsanteil beträgt bei den meisten Projekten 15% (Regelfall), machmal 25%, bei einigen liegt er höher.

Orbán machte bei der Zeremonie keinen Hehl daraus, wie überlebenswichtig die Mittel aus der Gemeinschaftskasse für sein Land sind, denn "ohne das Geld würde die Balance der ungarischen Nationalwirtschaft kippen". Ökonomen gehen weiter: ohne die EU-Gelder würde Ungarn Pleite sein. Freilich wäre Orbán nicht Orbán, schöbe er nicht nach: dass die Summe in ungefähr "dem Betrag entsprechen wird, den ausländische Investoren in der gleichen Zeit als Gewinne nach Hause schaffen werden". Für ihn handelt es sich also um eine Art Entschädigungszahlung für den Schaden den gierige Multis in seinem Land "anrichten".

 

Immerhin werde "das Land nun in der Lage sein, seine Schulden schneller zurück zu zahlen als in den vergangenen sieben Jahren." "Schneller" ist dabei ein ziemlicher Euphemismus, denn trotz massiver "Sondersteuern" für ausgeählte Branchen, etlicher neuer Steuern auch für die Bürger und der Einkassierung ihrer privaten Rentenbeiträge, stieg die Staatsverschuldung von zuvor unter 80 auf über 85% des BIP und erreichte in absoluten Zahlen einen neuen Allzeitrekord. Auch der Hinweis, dass man die EU-Devisen für die Schuldentilgung schon fest eingeplant hat, bezeichnet, wie sehr das Land am Tropf der Gemeinschaft hängt, der man bei jeder Gelegenheit in den Rücken fällt.

Laut offizieller Rechnung hat Ungarn für die aktuelle Budgetperiode einen guten Schnitt gemacht und sich bei den Verhandlungen gegen "politische Vorurteile" und "Anfeindungen" durchgesetzt. Rechnet man den Betrag - der nominal exakt jenem der Vorperiode entspricht - auf seine heutige Kaufkraft um, büßt Ungarn etwa (je nach dem welchen "Warenkorb" man ansetzt) 2-5 Mrd. Euro ein, andere Länder der Region tun das nicht (mehr dazu am Ende des Textes). Dies ist aber keinesfalls aus politischen Gründen geschehen, sondern aufgrund von Prioritäts-Verschiebungen innerhalb des Budgets sowie wegen der Performance bei der Projektumsetzung der letzten sieben Jahre. Die Opposition sieht das freilich anders, Orbán hätte Ungarn durch seine ewigen "Kriege" in Europa isoliert und das Land müsse den Preis dafür bezahlen.

Orbán hofft, dass man bei "guter Verwendung" der Gelder Ungarn am Ende der kommenden sieben Jahre als "entwickeltes Land" einstufen könne, also der Sprung von der 2. in die sogenannte 1. Welt gelingt und man "sich auf hohem Niveau selbst behaupten" könne. Um dies sicher zu stellen, habe man in Ungarn "die Praxis der Verteilung der EU-Gelder überhohlt" und wickle diese nun "in einem gänzlich neuen Weg" ab, laut Orbán "transparenter, einfacher und vernünftiger" bzw. "harmonisiert mit der ökonomischen Entwicklungspolitik." Zu diesem "neuen System" und der Verwendungspraxis finden Sie am Ende des Beitrags aufschlussreiche Links.

Barroso hätte zu dem Thema sicherlich einiges zu sagen gehabt, schließlich stand noch bis vor wenigen Wochen ein wiederholter Zahlungsstopp für Ungarn wegen undurchsichtiger Abrechnungen auf der Agenda, doch ist dessen Amtszeit praktisch schon abgelaufen, so ließ er Orbáns Show der Selbstgefälligkeiten stoisch über sich ergehen und nahm dessen Lob hin, dass "die Europäische Kommission - als die Hüterin der Vertäge in den Debatten der letzten Jahre die einzige vorurteilsfreie Partei in der gesamten Europäischen Union", "ein sicherer Hafen" gewesen sei.

Das mag man zwar angesichts der teils epischen Schlagabtausche mit diversen Kommissarinnen und Kommissaren kaum glauben, was die praktischen Folgen der ungarischen Vertragsverletzungen betrifft, sprach Orbán jedoch ein wahres Wort. Denn Orbán führte die Machtbeschränktheit der EU-Kommission auf "technische Fragen" regelmäßig vor und konnte sich dabei sicher sein, dass seine substantiellen Attacken auf europäische Grundwerte im eigenen Lande keine zählbaren Auswirkungen zeitigen würden. Selbst die von der Kommission über den EuGh erzwungenen Gesetzesänderungen blieben letztlich wirkungslos, da Orbán sie - leicht verändert - oder durch die Hintertür der Aufnahme in die Verfassung problem- und folgenlos reinstallierte und so Kommission und Gemeinschaft regelmäßig die lange Nase zeigte.

 

Es war in diesem Zusammenhang eine Verhöhnung erster Klasse, dass Orbán Barroso "für die Beilegung von Konflikten gemäß den Regularien und in fairen und korrekten Verfahren" ausdrücklich und persönlich dankte. Vier Jahre lang hat er jedes einzelne Verfahren aus "dem neuen Moskau" - und handelte es sich dabei auch nur um eine Lappalie - mit Worten wie "unfair und inakzeptabel", "Angriff auf ungarische Familien", "Attacken Brüsseler Bürokraten" usw. begründet und als "Befreiungskampf" seiner Nation gegen einen übergroßen Gegner stilisiert, die EU zum Feind erklärt.

Barroso mochte weder auf den Tirumphalismus Orbáns eingehen, gar einen Kommentar zur aktuellen NGO-Hatz (und die Jagd nach deren Geldern) in Ungarn abgeben und beschränkte sich bei der Zeremonie auf ein wenig Statistik. Wenn Ungarn "angemessen mit den Geldern umgeht", könne es "2020 ein entwickelteres Land als heute sein". Dank der EU-Mittel konnten seit 2007 im Lande 63.000 Projekte angestoßen werden. Am Ende aber, so Barroso, komme es nicht in erster Linie auf die Höhe der Gelder, sondern ihren plan- und sinnvollen Einsatz an.

Und ihren rechtmäßigen Einsatz, möchte man noch hinzufügen und dem nicht gerade als Orbán-Fan bekannten Barroso-Nachfolger Jean Claude Juncker alles Gute für den unvermeidlich kommenden "siebenjährigen Krieg" wünschen, für den man Orbán gerade einen fetten Scheck für dessen Kriegskasse übergeben hat...

cs.sz.

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