(c) Pester Lloyd / 08 - 2011 RUMÄNIEN
27.02.2011
Gratwanderung in Markós Fußstapfen
Kulturminister wird Chef der Ungarnpartei in Rumänien
Auf einem Parteikongress der Demokratischen Union der Ungarn in Rumänien (UDMR/RMDSZ) wurde am Wochenende Kelemen Hunor, der Kulturminister des
aktuellen Kabinetts von Emil Boc, zum neuen Vorsitzenden gewählt. Er folgt Béla Markó nach, der lange 18 Jahre die wichtigste rumänische Ungarnpartei führte. Die
Vertretung der Interessen von rund 1,3 Millionen ethnischen Ungarn in Rumänien ist eine vielfache Gratwanderung, die Umarmungen aus dem "Mutterland" sind dabei oft
mehr Fluch als Segen.
Hunor war der Wunschkandidat des Langzeitvorsitzenden
Im siebenbürgischen Oradea (ung. Nagyvárad / dt. Großwardein) stellten sich mit Peter
Eckstein Kovács und Olosz Gergely zwei weitere Kandidaten zur Wahl, die auch in der rumänischen Politik, als Präsidentenberater für Minderheitenfragen bzw. Abgeordnete eine
Rolle spielen. Der 43jährige Hunor, der aus Harghita stammt, ist seit 2000 Abgeordeneter des Parlamentes in Bukarest und galt als ausdrücklicher Wunschnachfolger von Markó. Er
erhielt 371 Stimmen, die beiden anderen 118 bzw. 47. Der Dichter und Philosoph gilt vielen als Ziehsohn Markós, der ihn auch in die Bukarester Politik einführte.
Der neugewählte UDMR-Chef Kelemen Hunor (links)
mit Premierminister Emil Boc am Samstag in Oradea.
Welchen Stellenwert die UDMR in Rumänien hat, zeigte auch der Umstand, dass Premier
Emil Boc persönlich für ein Grußwort auf dem Parteikongress erschien. Boc´ parlamentarische Mehrheit ist minimal, der Rückhalt in der Bevölkerung auf ein neues Tief
gesunken, er braucht jede Stimme zum politischen Überleben. Der Premier würdigte die
UDMR als "glaubwürdige Partei" und dankte Markó für eine "herausragende Tätigkeit", auch
andere Vertreter der Koalitionsparteien machten "den Ungarn" ihre Aufwartung. Markó selbst erkannte an, dass Dinge, für die man früher hart kämpfen musste, heute in
Rumänien normal sind, sein Nachfolger Hunor will dennoch "ein neues Kapitel im Kampf um die Muttersprache und die Autonomie" aufschlagen. Hunors große Bekanntheit durch seinen
Ministerposten und als ehemaliger Präsidentschaftskandidat dürfte der UDMR auch einen strategischen Vorteil bei kommenden Pralamentswahlen verschaffen.
Béla Markó vollführte 18 Jahre lang eine nicht unerfolgreiche Gratwanderung zwischen eigenen
Interessen, rumänischer Staatsräson und “Umarmungen” aus dem “Mutterland”
Rumänienungarn als Mehrheitsbeschaffer zwischen den
Fronten
Die UDMR bemüht sich in erster Linie um
die Belange der rund 1,3-1,4 Millionen ethnischen Ungarn in Rumänien und ist immer wieder Mehrheitsbeschaffer für wechselnde Regierungen gewesen, oft
selbst als Teil einer Koalition. Aus dieser Position heraus versucht sie mit den jeweiligen Adminsitrationen im Interesse der eigenen Belange
zusammenzuarbeiten, was der Partei in Rumänien den Ruf einer gewissen "Käuflichkeit" eingebracht hat, was andere als Realpolitik begrüßen. Die Wahl Hunors gilt als Zeichen,
dass die Parteispitze einen relativ moderaten Weg weitergehen will, der ihr in den letzten Jahren einige Erfolge brachte, vor allem bei der Mitbestimmung bei Lokalverwaltungen und
in der Bildungspolitik, wo ein weitgehender Unterricht in der Muttersprache möglich ist und sogar eine ungarische Universität vom rumänischen Staat finanziell unterstützt wird.
Weitere Streitpunkte sind u.a. die Rückgabe von während und nach dem Zweiten Weltkrieg konfiszierten Kircheigentums sowie die Übertragung von bisher zentralen
Verwaltungsaufgaben an kommunale Verwaltungen und die Einhebung von eigenen Steuern.
Die Rumänienungarn konzentrieren sich hauptsächlich auf die im Nordwesten gelegenen Landesteile
Rumäniens, in den grün gefärbten Bereichen stellen sie sogar die Mehrheit. Siebenbürgen und das
Szeklerland sind zentrale, historische Siedlungsgebiete die jahrhundertelang zum ungarischen Staat bzw.
Königreich gehörten und zuerst durch Trianon, später durch die Nachkriegsordnung nach dem 2.
Weltkrieg endgültig verlustig gingen. Auch wenn durch die EU die Grenzen im praktischen Leben immer
mehr verschwinden, bleibt die Wunde in Ungarn offen, bzw. wird gezielt offengehalten. Abb: Wikipedia
Nicht wenige Radikale wollen die "territoriale Autonomie"
Dabei musste die UDMR oft
Zerreissproben in den eigenen Reihen aushalten, da es starke Strömungen gibt, die mehr als kulturelle Autonomie und die gängigen Minderheitenrechte einfordern. 2004 kam es zu einer
kleineren Abspaltung. Vor einigen Jahren haben radikalere Vertreter die "territoriale Autonomie Siebenbürgens" ausgerufen, was bei
der Bukarester Zentralregierung nicht gut ankam, im Anschluss wurden etliche Verwaltungsposten gestrichen bzw. mit rumänischen Beamten besetzt, was die ungarische
Seite wiederum als "ethnische Säuberungen" anprangerte. Der damalige ungarische Präsident Sólyom besuchte, trotz Protesten aus Bukarest, am ungarischen Nationalfeiertag
Siebenbürgen, was zu schweren diplomatischen Verstimmungen führte. Die rechtsextremistische Jobbik marschierte in Rumänien auf und gründete dort Depandancen,
die revisionstische Ansprüche stellen. Hinsichtlich der vereinfachten Staatsbürgerschaft für Auslandsungarn hat sich das offizielle Rumänien - im Gegensatz zur Slowakei - mit Kritik
zurückgehalten, weil Rumänien selbst in Moldawien eine ähnliche Politik betreibt. (mehr dazu in den Links unter diesem Beitrag.)
Umarmungen aus dem "Mutterland" bringen oft mehr Ärger als Hilfe
Auch die offene (auch finanzielle) Unterstützung des nationalkonservativen Fidesz stellte
sich im politischen Alltag mitunter als Hindernis heraus, weil man dem UDMR (assoziiertes Mitglied der EVP im Europäischen Parlament und dem Fidesz zumindest nahestehend) so
schnell mangelnde Loyalität zum rumänischen Staat vorwerfen kann. Die historischen Belastungen zwischen beiden Ländern werden vor allem in Ungarn immer wieder politisch
instrumentalisiert und für innenpolitische Kampagnen benutzt, das "ganze Ungarn" bzw.
"geeinte Ungarntum" sind Hauptschlagwörter in Wahlkämpfen, "Siebenbürgen" und das
"Széklerland" werden als Wiegen des "Magyarentums" verklärt, die Schelte für die Nacharländer wegen der "Unterdrückung" der Ungarn gehört zum Standardrepertoire.
Dabei gibt es in Ungarn bisher weder eine parlamentarische Vertretung der ethnischen Minderheiten, noch wirkliche kulturelle Autonomie. Zwar gibt es einen parlamentarischen
Ombudsmann, der Beschweren sammelt und ein auf dem Papier schön klingendes Gesetz über "Selbstverwaltungen", deren Macht beschränkt sich jedoch meist auf die Betreibung
einiger Schulen und Kulturhäuser. Gestalterischen, administrativen oder gar legislativen Einfluss wie in Rumänien und teilweise in der Slowakei, haben die ethnischen Minderheiten
in Ungarn bis heute nicht.
Zum Thema:
Nationaltheater - Nov 2010 Ungarn vs. Rumänien: eine Tragikkomödie in vier Akten
http://www.pesterlloyd.net/2010_47/47nationaltheater/47nationaltheater.html
Doppelpass - Okt 2010 Treffen der Präsidenten von Rumänien und Ungarn http://www.pesterlloyd.net/2010_42/42ROHUpraesi/42rohupraesi.html
"Ungarische Garde" plant Auftritt in Rumänien - Nov. 2009 http://www.pesterlloyd.net/2009_48/0948garderom/0948garderom.html
Gefährliche Leidenschaften - Sep 2009
Szekler erklären die territoriale Autonomie von Rumänien http://www.pesterlloyd.net/2009_37/0937szekler/0937szekler.html
Hinter den Siebenbürgen - Jul 2009
Rumänien und Ungarn auf vorsichtigem Versöhnungskurs http://www.pesterlloyd.net/2009_29/0929erdely/0929erdely.html
Aufruhr im Szeklerland - Mai 2009
Fidesz und Rumänienungarn: "Ethnische Säuberungen" in Rumänien http://www.pesterlloyd.net/2009_22/0922rum/0922rum.html
Der unerwünschte Staatspräsident - Mär 2009
Ungarn hat mal wieder Zoff mit einem Nachbarn: diesmal Rumänien http://www.pesterlloyd.net/2009_12/0912romania/0912romania.html
Heimspiel - Jul 2008 Ungarns Oppositionschef politisiert in Rumänien http://www.pesterlloyd.net/2008_31/0831orbanrumaenien/0831orbanrumaenien.html
red.
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