THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 08 - 2014   WIRTSCHAFT 18.02.2014

 

Schieben - Zinken - Fälschen

Orbáns ökonomische Erfolgsmeldungen im Faktencheck

"Wirtschaftswachstum über den Erwartungen, beste Beschäftigungszahlen seit 20 Jahren, Staatsverschuldung massiv gesenkt" - Mit diesen Kennzahlen sowie "realen Rentensteigerungen" und dem "höchsten Mindestlohnanstieg in Europa" geht die Regierungspartei in Ungarn hausieren und auf Stimmenfang. Die Fakten widerlegen die Propaganda aus Orbáns
“Rede zur Lage der Nation”, sind aber so komplex, dass sie gegen die Schlagwortpolitik und die Schönrechner im Parteiauftrag keine Chance haben.

BIP-Wachstum

Statistisch registrierte Ungarn im 4. Quartal ein BIP-Wachstum von 2,5-2,7% gegenüber dem 4. Quartal 2012. Das Wirtschaftsministerium nennt das "Rückkehr auf den Wachstumspfad", der Premier sogar ein "solides Wachstum" in Wirklichkeit aber sind allein die miserablen Basiswerte von Ende 2012 für dieses Wachstum verantwortlich, damals gab es genau den Einbruch von 2,7% gegenüber 2011, den man 2013 "aufgeholt hat". Inflationsbereinigt also stagniert die ungarische Wirtschaft bestenfalls und auch nur, weil die Landwirtschaft Dank besseren Wetters einen Sprung machte.

Zieht man den Vergleich mit den tatsächlich vergleichbaren Ökonomien in CEE heran, erkennt man an der von portfolio.hu anhand von Eurostat-Daten erstellten Grafik, dass Ungarn von Polen, der Slowakei und sogar Rumänien bei der realen Wachstumsdynamik schon vor Jahren überholt wurde, nur Tschechien grundelte eine Weile auf gleichem Wachstumsniveau, lag aber in absoluten Pro-Kopf-Zahlen immer vor Ungarn. Das gleiche gilt auch für die Prognosen für die kommenden 24 Monate. Der CEE-Schnitt ohne Ungarn wird mit knapp 3% prognostiziert, Ungarn muss sich mit um die 1,5-2% zufrieden geben, nach wie vor auf 2011er Niveau. Im Regierungssprech wird dies als "Wachstumsmotor der Region" übersetzt. Entscheidend für die Regierung ist die jetzige Publikation des "überraschend hohen Wachstums", vor den Wahlen soll so ein Silberstreif proijeziert werden.

Quelle: www.portfolio.hu nach Daten der nationalen und europäischen Statistikbehörden.

Staatsverschuldung

Die Nationalbank meldet für Ende 2013 eine Bruttoverschuldung von 79% des BIP, gegenüber 80,2% Ende des 3. Quartals und 79,8% vor einem Jahr. Oppositionspolitiker Bajnai hingegen rechnet vor, dass die Verschuldung des Landes real um 5.000 bis 6.000 Milliarden Forint seit 2010 angestiegen ist. Wie geht das zusammen? Zunächst: der Jahresendwert von 79% und auch das Defizitziel für 2013 wurden nachweislich nur durch den massiven Abbau von Cash-Reserven herbeigeführt (Ende 2012 ca. 1.700 Mrd. HUF, Ende 2013 noch ca. 770 Mrd. EUR), um die Aufnahme von neuen Anleihen im Wert von ca. 3% des BIP zu verhindern, womit die Staatsschuldenquote auf über 82% angewachsen wäre und damit so hoch gelegen wäre, wie zu den Hochzeiten der Krise. Schlechter aber als die "Sozis" darf Orbán nicht sein, daher dieser Trick, auch wenn die absolute Schuldensumme zumindest ebenso hoch ist wie vor vier Jahren.

Man hat die Schulden auch Ende 2013 nicht reduziert, sondern die Neuverschuldung verschoben, einmal mehr mit der wackeligen Hoffnung auf weiteres Wachstum und Glück an den Finanzmärkten besichert. Ende 2014 sind alle drei Wahlen geschlagen. Danach die Sintflut?

Die drei Jahre zuvor konnte man mit den verstaatlichten privaten Rentenbeiträgen das Ansteigen der Schulden aufhalten, eigentlich sollten sie mit dem Äquivavalent von über 10% des BIP bis 2014 auf reale "unter 75%" des BIP fallen. Doch der Topf ist,
wie hier genauer berichtet, mittlerweile leer.

Vorteilhaft wirkte der andauernde Export- und damit Handelsbilanzüberschuss der "Werkbank" Ungarn. Durch den Forintverfall, aber die realtiv hohe Forex-Reserve, konnte der Schuldendienst zuletzt auslaufende Forint-Anleihen mit Devisen bezahlen, was Geld sparte. Kein Wunder, dass die MNB beim heftigen Forintverfall derzeit nicht an eine Intervention denkt, auch wenn die privaten Forex-Schuldner weiter ruiniert werden. Die Statistik war schon immer wichtiger als das Elend der Elenden. Das Problem besteht aber nun darin, dass das Schuldenamt den Anteil von Devisenanleihen zuletzt wieder erhöht hatte und man nicht ständig auf Forex-Reserven zurückgreifen kann. Auch hier wird also in einigen Monaten bzw. wenigen Jahren ein Bumerang-Effekt einsetzen, zumal durch den Russland-Atomdeal eine fixe Neuverschuldung von je rund 1% des BIP pro Jahr für die kommende Dekade festgeschrieben ist, auch wenn die Regierung sich weigern sollte, diese in die eigenen Bücher zu schreiben. Heftet man die Schulden dem Betreiber MVM an, müssten sich die Strompreise verdoppeln, - politisch ausgeschlossen, so erhöhen sich also "nur" die Steuern.

Arbeitsmarkt

Um 32,6% ist im Januar die Zahl der "registrierten Arbeitssuchenden" binnen eines Jahres gefallen, meldete am Montag mit stolzer Brust das Nationale Arbeitsamt NMH. 437.200 Menschen suchen danach offiziell noch einen Job, beachtliche 200.000 weniger als vor einem Jahr. Auf Monatsbasis wuchs die Zahl hingegen um 22.900.

Fachleute haben für dieses "Jobwunder" nur noch Spott übrig, eine ernsthafte Auseinandersetzung mit solchen Zahlen hat längst keinen Sinn mehr. Die Regierung hat "Arbeitslosigkeit" einfach in "Kommunale Beschäftigung umgetauft" (Höchsteinkommen 170.- EUR aus dem Steuertopf, derzeit rund 180.000 Menschen), sodann im Ausland arbeitende Ungarn, in Gehaltsempfänger umdeklarierte Frührentner und "der Arbeit zugeführte" ehemalige Invaliden, die den neuen Kriterien der Arbeitsunfähigkeit nicht mehr entsprachen (hier wurde früher wirklich heftigst beschissen), einfach dem Pool der Beschäftigten zugeschlagen, in Summe ca. 400.000 "Beschäftigte". Auf der anderen Seite: die Zahl der Beschäftigten in der wirklich freien Wirtschaft in Ungarn bewegt sich weiter auf dem Niveau der Lehman-Krise und danach, die Stellen dort verzeichnen seit drei Jahren einen Nettoabbau, der sich in den letzten Monaten zur "Stagnation" gesteigert hat. Kurz: was die internationalen Multis neu einstellen, bauen die einheimischen Klein- und Mittelständler ab. Eine Tendenz, die seit 2010 anhält und hinter der ein System steckt, denn nur ein sehr begrenzter "Mittelstand" profitiert von EU-Ausschreibungen und öffentlichen Vergaben.

Renten

Weitere Erfolgsmeldungen aus der "Rede zur Lage der Nation" sind schnell erklärt: der postulierte reale Rentenanstieg (lag jetzt mit in Summe 4,5% zwei Mal über der offiziellen Inflationsrate) ist eine Lüge, weil der rentnertypische Warenkorb sich seit 2010 um ca. 30% verteuert hat - konservativ gerechnet -, wegen: sog. Finanztransaktionssteuer, Verbrauchssteueranhebungen, z.T. zweistelligen Teuerungsraten im Grundnahrungsmittelbereich, enormen Kürzungen bei der Medikamentenzuzahlung.

Mindestlohn

 

Die "höchste Mindestlohnanhebung in ganz Europa" (nominell über 10%) ist ebenfalls eine Chimäre, denn die Flat tax sorgte dafür, dass die Mindestlohnempfänger (ca. 330.- EUR brutto) unterm Strich nochmals rund 30 EUR weniger in der Tasche haben als 2010 und heute noch rund 65.000 Forint (220.-) monatlich nach Hause bringen, wenn sie damit überhaupt soweit kommen. Ca. 35% Steuer- und Abgabenquote auf den Minimallohn, das ist wirklich ein Europarekord und erklärt, wer wirklich von der "Flat Tax" von 16% profitiert. Natürlich ist der Mindestlohn in Ungarn keine soziale Errungenschaft, sondern nur eine Art Bemessungsgrundlage für die Abgabgenberechnung, eine Bezugsgröße. Hier betrügt nicht nur der Staat seine Bürger, sondern schlägt dieser durch die gängige Formel "Mindestlohn + der Rest schwarz" zurück. Es ist ein Deal, der sich weder für den Staat, noch für die Arbeitnehmer je gerechnet hat, allerdings als eine Art gesellschaftlicher Beschiss-Kompromiss für das Kleinunternehmertum in Ungarn eine Tradition entwickelt hat, die so schnell nicht in ein "neues, ehrliches, faires System" zu überführen ist, wie sich das Fidesz - zumindest offiziell - vorgenommen hatte.

Das Gleiche gilt auch für den "Reallohnanstieg" bei den Durchschnittslöhnen. Mehr dazu in: Das Plusminus.

Soweit zum Faktenchek. Wer sich für die Gründe und Hintergründe der strukturellen Schwäche in der ungarischen Ökonomie interessiert und warum sie nicht wirklich in Schwung kommen kann, dem seien folgende Hintergrundbeiträge empfohlen:

Fragiles Wachstum, lauernde Schuldenfalle. Wo es in Ungarns Wirtschaft klemmt

Schattenreich der Kleptokraten: Legalisierung des Illegalen: geschäftsmäßige, amtliche Plünderung von Fördergeldern in Ungarn

Weiter Details in diesen Beiträgen zu: Forint, Investitionen, Leitzinspolitik / Kreditprogramm, Zustand des Gesundheitswesens, Politik gegenüber Banken / Kreditmarkt, Steuerpolitik

cs.sz. / red.

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