THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 09 - 2014   WIRTSCHAFT 28.02.2014

 

Das Investitionsmärchen

EU-finanzierter "Aufschwung" in Ungarn, strukturelle Probleme vertieft, Orbán verspricht "Vollbeschäftigung"

Ein Anstieg der Investionen um fast 15% im vierten Quartal 2013, nach knapp 10% im Quartal davor, das klingt wie im Märchen. Es ist auch eines. Denn das Investitionsvolumen hinkt sogar noch den Krisenjahren hinterher und wird immer mehr vom Staat, also EU-Geldern getragen. Die Top-Manager des Landes offenbarten, was Orbáns Jubelpropaganda zu verbergen sucht: Korruption, Steuerlast, Vertrauensverlust und Fachkräfteflucht machen Ungarn strukturell zu schaffen. Doch der Premier kündigt schon das nächste Traumziel an: "Vollbeschäftigung".

Von der “Eisenfabrik” zur “Kulturfabrik”. Bei der Grundsteinlegung für ein mit rund 7 Mio. EUR EU-Geldern aufzubauendes “Nationales Film- und Kulturarchiv” in Ózd bei Miskolc, versenkte der Premier am Donnerstag eine “Zeitkapsel” und versprach “Vollbeschäftigung” für Ungarn. Im Hintergrund, Ruinen des einstigen stählernen Herzens Ungarns, Teile des alten Stahlwerkes.

Im Gesamtjahr betrug der Anstieg der Investitionen in der ungarischen Gesamtwirtschaft 7,2%, 14,9% im 4. Quartal, 9,8% im dritten. Der Maschinenbau und Zubehörsektor legte dabei um 16% zu, die Bauwirtschaft um 14%, Größenordnungen, die sich durch fast alle Branchen ziehen, kleine negative Ausnahmen bilden der komatöse Wohnbausektor, der Tourismus, der Kommunikations (-2,1)- und der Finanzbereich sowie natürlich der Immobilienmarkt (-9,3). Herausragend aber der etwas ausladend zusammengefasste Sektor "Öffentliche Administration, Verteidigung und soziale Sicherheit", der mit einem Plus von 48,2% geradezu durch die Decke schoss, auch das Transport- und Lagerwesen legte um 36% zu.

Hier liegt auch ein Hinweis darauf, dass es sich bei dem "robusten Wachstum" (Orbán), das Ungarn wieder in die "Topliga der europäischen Ökonomien aufsteigen" lässt (Wirtschaftsminister Varga) wirklich mehr um ein Märchen, eine Legende, denn um nachhaltige Impulse einer prosperierenden Wirtschaft handelt. Denn zum Einen profitiert das Zahlenfeuerwerk von extrem niedrigen Basisdaten der Fidesz-gemachten Rezession (die anderen Länder der Region verzeichneten da nämlich einen süürbaren Aufschwung)
in den Jahren 2011/2012, zum anderen von der hektischen Schlussphase der auslaufenden EU-Budgetperiode 2007-2013, bei der im vergangenen Jahr praktisch alles, was nicht bei drei auf den Bäumen war, zum EU-finanzierten Projekt deklariert wurde und auch die EU es mit den Vergabebestimmungen längst nicht mehr so genau nahm.

Das Volumen der Investitionen erreichte Ende 2013 in etwa den Stand von 2010, also jenen bei Machtübernahme und lag damit weiter rund 40% unter den Vorkrisenjahren 2004-2008 und immer noch ca. 20% unter 2009.

Gulasch-Planwirtschaft mit asiatischen Zutaten, auf russischer Flamme gegart

Man könnte meinen, es sei gut, dass die EU-Gelder wenigstens überhaupt Verwendung fanden. In welchen Taschen sie landeten und ob "Investitionen" in Hochwasserschutz, Flurbegradigungen, Stadion- und andere Nestbauten irgendwann auch für die Allgemeinheit wertschöpfend wirken werden, denn nur dann wären sie auch Investitionen, diese Frage wird heute, einen guten Monat vor der Wahl natürlich nicht so laut gestellt. Im Vordergrund steht die nominelle Wachstumsrate von 14,9% in Q4, die sich nahtlos in die wundersamen Erzählungen von Tausenduneiner Erholung der ungarischen Wirtschaft einzupassen hat.

AKTUELL: Orbáns ökonomische Erfolgsmeldungen im Faktencheck

Die EU-finanzierte, öffentliche Hand ist also der Hauptinvestor in Ungarn (+50%), wovon der privilegierte, weil parteilich vernetzte Teil des Mittelstandes profitiert, die großen Multis sind eher im Standby, deren Investitionsgebahren hängt nur zum geringsten Teil an der Politik in Budapest, zum größten an den Entwicklungen der Weltwirtschaft, die Orbán - noch - nicht lenkt. Ihm genügt vorher seine eigen kreierte Gulasch-Planwirtschaft mit mittel- und ostasiatischen Zutaten, auf russischer Flamme gegart.

Orbán ist nicht mehr zu bremsen. Gerade lud er die Russen auf ein 10 Milliarden Euro-Geschäft ein, dann kündigt er
die Quasi-Verstaatlichung des Energiesektors an, gestern bei einer Grundsteinlegung gibt er schon das Ziel der "Vollbeschäftigung" aus und, dass "alle von den Früchten ihrer Arbeit leben können". Wie wir wissen, ist die Summe, von der man in Ungarn "ganz gut leben können" soll, einmal von Ökonomie-Überflieger Matolcsy mit 47.000 Forint fixiert worden, die, wenn wir Glück haben, auch im nächsten Jahr noch 150 EUR wert sind.

TOP-Manager stellen Orbáns Wirtschaftspolitik ein mieses Zeugnis aus

PricewaterhouseCoopers hat die 140 dicksten Fische der ungarischen Wirtschaft nach ihren kurzfristigen Prognosen befragt: 72% sehen ihr Unternehmen in den nächsten 12 Monaten wachsen, 85% sehen das sogar über die nächsten drei Jahre. Also alles auf Regierungslinie? Alles nach Plan? Die Prognose hat weniger mit der Orbánschen Wirtschaftspolitik als mit dem Eigen-Drive der Unternehmen zu tun und der Lage ihrer Exportmärkte, von denen alle größeren Unternehmen in Ungarn fast zur Gänze abhängen.

 

Denn die Zensuren, die die anonymisierten Top-Manager (denn Face to Face sind sie immer zu feige dafür) der Regierung in der gleichen Umfrage sonst so erteilen, sind wenig schmeichelhaft, für Ökonomen sogar nahe am Albtraum: Fast zwei Drittel sehen die "Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts" weiter nachlassen, wegen "Vertrauensverlustes und Unvorhersagbarkeit der Politik" und "zurückgehender Kaufkraft" der Einwohner. "Korruption" und immer weniger "verfügbare Fachkräfte" wurden von rund der Hälfte als existentielles Hemmnis für Prosperität genannt. 61% der befragten Unternehmen zahlten 2013 nach eigenen Angaben mehr Steuern als 2012 und erwarten das gleiche nochmal für 2014. Das Verhältnis zwischen Neueinstellungen und Entlassungen bleibt in etwa gleich, das "ungarische Jobwunder" wird sich also weiter in der Kommunalbeschäftigung und mit Hilfe von endlos sprudelnden EU-Quellen abspielen müssen.

red.

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