THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 28 - 2014 POLITIK 11.07.2014

 

Supersteuer mit Kollateralschaden: Wie die EU Ungarn hilft, ohne Ungarn zu helfen

Die 98% ige Supersteuer auf "betrügerisch erlangte" Abfindungen war 2010 das Fanal für die Unterwerfung der Verfassungsordnung unter Parteiinteressen in Ungarn und ein erster Höhepunkt für den Orwellschen "Neusprech" der Regierung unter Viktor "Robin Hood" Orbán. Nach dem Veto der EU-Gerichte muss die Steuer jetzt zwar zurückgezahlt werden, doch auf dem Schaden für Rechtsstaat und Demokratie bleibt Ungarn sitzen.

Danke für´s Zuschauen. Handeln hätte mehr gebracht. Greenpeace-Aktion zur ungarischen EU-Ratspräsidentschaft 2011.

Zum Amtsantritt 2010 wollte sich die Fidesz-Regierung sogleich als volksnah präsentieren und hat die "ungerechtfertigten Selbstbedienungsabfindungen" im öffentlichen Dienst mit einer Steuer von 98% belegt, um sie "dem Volk zurückzuholen". Dem voraus waren etliche Skandale unter den Vorgängerregierungen gegangen, bei dem sich höhere Beamte, aber auch Abteilungsleiter z.B. bei den Budapester Verkehrsbetrieben BKV unverschämt hohe Abfindungen zuschanzten, trotz dem Staatskasse und Staatsbetriebe praktisch bankrott waren und die Marodität ihres Arbeitsfeldes ihr Versagen klar belegte.

 

Allerdings traf die massive Steuer auf Abfindungen alle öffentlich Bediensteten und damit auch Lehrer, Krankenschwestern, Feuerwehrleute, bei denen diese Abfindungen traditionell ein wichtiger Baustein für die Alterssicherung und nur eine bescheidene und späte Kompensation für lebenslange, teils sehr niedrige Löhne waren, zumal das “neue” Rentensystem alles war, nur nicht vertrauenerweckend. Die Leute sollten Recht behalten, denn ihr vom Staat eingezogenes Geld wurde nicht “gerettet”, sondern ausgegeben.

Nur die ersten 2 Mio. Forint (heute ca. 6.500 EUR, damals ca. 7.300 EUR) der “Lebensabfindungen” blieben nach der neuen Gesetzgebung steuerfrei, der Rest wurde durch die "Supersteuer" praktisch vollständig eingezogen. Eine angekündigte Anhebung des Freibetrages auf 3,5 Mio. HUF wurde durch Nulllohnrunden egalisiert. Die neuen Apparatschiks wichen hingegen auf ihre Jahresprämien auf, die nicht unter "Abfindung" fallen, sondern unter 16% Einkommenssteuer und richten es sich außerdem auf eine Weise, die so gründlich und institutionalisiert ist, dass die Plünderungen der "Sozis" dagegen wie das Stehlen einer Packung Gummibärchen erscheint. Dazu möge dieses eine, aktuelle und sehr markante, ja beängstigende Beispiel hier genügen.

Als nun
2010 das eigene Verfassungsgericht das Gesetz aus naheligenden Gründen annulierte, dabei  auch "die menschliche Würde" erwähnend, nahm das der damalige Fidesz-Fraktionschef und heutige allmächtige Kanzleramtsminister Lázár zum Anlass, erstmals öffentlich das "Gerechtigkeitsempfinden des Volkes" über das Recht zu stellen, was heute sozusagen zum guten Ton gehört und ließ das Verfassungsgericht kurzerhand von allen "Belangen, das Budget betreffend" entmachten. Was als Übergangslösung verkauft wurde bis "der Haushalt konsolidiert" sei, wurde nicht nur zur Dauereinrichtung, sondern durch die neue "Partei"-Verfassung und den darauffolgenden "Verfassungsputsch" regelrecht zementiert, dem Verfassungsgericht mussten auch die letzten Widerworte ausgetrieben werden.

Mittlerweile ist auch anhand anderer Verfassungsartikel klar, dass den Lázárs unseres Landes die "nationalen Interessen" über irgendeiner menschlichen Würde stehen. Die Supersteuer ist daher für uns in Ungarn nicht einfach eine Regierungsmaßnahe von vielen, sondern geht als Fanal für die Aushebelung der Verfassungsordnung und des Rechtsstaates in die Geschichte ein.

Doch die EU und dann die Europäischen Gerichte übernahmen die Kritik der ungarischen Verfassungsrichter an dem Eingriff ins Vertrags- und Eigentumsrecht und die individuelle Lebensplanung der Menschen und verdonnerten den Staat, zu seinen vertraglich gegenüber seinen Staatsdienern gemachten Zusagen zu stehen, auch wenn die Regierung wechselt, was nicht ausschloss, dass man gegen betrügerische Auswüche wie bei der BKV vorgeht. Ungarn müsse die zu Unrecht erhobene Steuer zurückzahlen, meinte sowohl der Europäische Gerichtshof wie auch der Gerichtshof für Menschenrechte (nicht EU), nachdem NGO´s Betroffene bei langwierigen Klagen unterstützt haben.

Die Rückzahlungen werden nun - unter Schmerzen - eingeleitet, allerdings will man die regulären Einkommenssteuern und Sozialabgaben, die zum Zeitpunkt der Auszahlung gültig waren, einbehalten, weshalb die Betroffenen nur rund 60% ihrer eingezogenen Abfindungen ausgezahlt bekommen werden, womit man, so das rechthaberische Nachtreten aus Budapest in Richtung Brüssel "der Gerechtigkeit genügt", wie die zuständige Staatssekretärin verlauten ließ. Die Verzinsung hingegen lässt man unter den Tisch fallen, die dementsprechende Nachfrage wurde uns gewohnt keck mit "Es war ja kein Kredit..." sachkundig und formschön überbracht.

 

Der Fall der Supersteuer ist seit 2010 einer der wenigen geblieben, in denen die Rückendeckung des EU-Regelwerkes Betroffenen in Ungarn wirklich und praktisch spürbar zu Hilfe kam. Die nachträgliche Belastung des Haushaltes wird auf umgerechnet rund 150 Mio. EUR geschätzt. Der konstitutionelle und nun strukturelle Kollateralschaden jedoch bleibt Ungarn noch lange erhalten, die Kosten dafür steigen laufend, sind aber nicht mehr abschätzbar.

Dieser Zerstörung hat die EU nichts entgegenzusetzen, nur "Technisches" konnte behoben werden, auf die ordnenden Grundlagen, das Fundament einer Gemeinschaft - im Kleinen wie Großen - hat man keinen Einfluss, weil der von den nationalen Regierungen unterbunden wurde.
Dahingehende Überlegungen werden im Keim erstickt und von Orbán und seinen EVP-Kameraden als Anschlag gegen die Nationen gewertet. Das ist DAS Problem der EU und wirkt sich bekanntermaßen weit über Ungarn hinaus aus. An die damit verbundene Hoffnungslosigkeit erinnert uns die "Supersteuer".

cs.sz. / red.

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