THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

Das Pester Lloyd Archiv ab 1854

 

Hauptmenü

 

 

 

 

(c) Pester Lloyd / 35 - 2014   WIRTSCHAFT   28.08.2014

 

Geldschöpfer auf dem zweiten Bildungsweg: Ungarns Nationalbank will "neoliberale Irrlehren" austreiben

Mit 630 Mio. EUR sollen fünf Stiftungen und vier neue Institutionen in Ungarn und Rumänien "neoliberale Irrlehren" austreiben. Gelehrt werden sollen "neue Visionen", wohl vor allem das Fach "Unorthodoxe Finanzpolitik", von dem Nationalbankchef Matolcsy seit Jahren heftige Kostproben abgibt. Das Budget der Initiative übersteigt die staatlichen Ausgaben für die höhere Bildung um das 1,5fache, wird aber durch "Geldschöpfung" "schuldenfrei" finanziert. Manche Kommentatoren meinen, der Gouverneur habe nun vollständig den Verstand verloren, andere erkennen den Plan dahinter...

Die “Men in Black” im Kampf gegen die liberale aliens.

 

Am Donnerstag lud die Ungarische Nationalbank, MNB, sehr kurzfristig zu einer Pressekonferenz, auf der den Medien mitgeteilt wurde, dass es dringend eines "Umbruchs in der ökonomischen Ausbildung" des Landes bedarf und man daher Institutionen schaffen werde, die "nicht die gescheiterten neoliberalen Doktrin propagieren".

Solch eine Einrichtung gibt es zwar schon, denn Finanzwirtschaft und Finanzverwaltung wird bereits an der wie ein Fidesz-Internat geführten Universität des Öffentlichen Dienstes unterrichtet, doch Matolcsy will mehr: "Wir werden Fakultäten für Wirtschaft und Finanzen an der Uni Kecskemét und in Marosvásárhely (Targu Mures, Rumänien, Anm.) errichten, weiterhin ein Doktoranden-Institut im Budaer Burgviertel und ein Qualifizierungs- und Fortbildungszentrum in Pest."

Dies sei nötig, weil "die längst hinfälligen Lehren und Fehler der neoliberalen Wirtschaftsschule weiterhin die ökonomischen und Finanz-Ausbildungen in Ungarn dominieren." Der Gouverneur kreirt sozusagen einen "zweiten Bildungsweg" vorbei am "liberalen Mainstream".

Die MNB erwarb -
neben Kunstwerken und Präziosen - kürzlich ein Palais im Burgviertel und machte das Eiffel Palais in Pest durch den Kauf für rund 45 Mio. EUR zum teuersten Bürohaus in Budapest. Dass der Erwerb von einer Off-Shore-Gesellschaft rechtswidrig und völlig überteuert ablief, wundert nur ein paar Medien, denn es gibt heute keine Behörde mehr in Ungarn, die diesen Fragen ernsthaft nachgehen würde, zumal die MNB ja laut Verfassung "unabhängig" ist. Institutionalisierter und legislativ abgesicherter Raubzug, auch das könnte eines der Fächer für die neue Bildungsoffensive sein.

Beide Gebäude könnten in den Plänen eine Rolle spielen und für die Lehrkräfte stünde zudem ein gerade neu erworbenes Schlosshotel an der Theiss mit einer an das SED-Ghetto Wandlitz erinnernden Ausstattung für Erholungszwecke zur Verfügung, während sich der Chef selbst einen eigenen kleinen Ort am Balaton zulegte, um den sich seine Gattin kümmert.

Den Erwerb des Eiffel Palota rechtfertigte Matolcsy als guten Deal, das zu rund 60% vermietete Gebäude würde, nach Abzug der Finanzierungskosten, eine Nettorendite von jährlich 5% abwerfen und damit rund 2,5 Mio. EUR in die Kasse spülen. Doch Matolcsy teilte gestern gleichzeitig die "Genehmigung eines Budgets von 90 Milliarden Forint", also nochmals fürstliche 285 Mio. EUR, für den Erwerb ähnlicher Objekte sowie den Posten "Renovierungen, Restaurierungen und Ausstattung" mit. Alles diene natürlich nur dem Zwecke, die "positive Bilanz der Bank für die Zukunft zu erhalten". Fachleute sprechen eher vom Aufbau eines weiteren, internen und unkontrollierbaren Wirtschaftskreislaufs zur Absorbtion öffentlicher Mittel unter dem Deckmantel der Vermögensanlage.

Außerdem, so der Gouverneur in einem Interview, habe die MNB durch die permanten Zinssenkungen der vergangenen zwei Jahre (von 6,.5 auf 2,1%) ohnehin insgesamt 280 Mrd. Forint "gespart", die man nun in solche Projekte investieren könne. Dass auch dieses Geld dem Staat gehört, der u.a. auch wegen des von der MNB verursachten miesen Forintkurses gerade einen neuen Schuldenrekord verzeichnet, ficht Matolcsy nicht an. Nächste Lektion in unorthodoxer Wirtschaftspolitik: "Was geht mich fremdes Elend an?" Immerhin: Matolcsys mit Kompetenzkriterien schlicht nicht erklärlicher "Karriersprung" vom Wirtschaftsministerium in die Zentralbank erhält durch die neuen Geschäftsfelder nun einen praktischen und nachvollziehbaren Zweck und passt sich ins Jagd- und Sammelschema der Stammesführer ein.

Die finanzielle Ausstattung der fünf nationalbankeigenen Stiftungen zum Behufe der großen "Bildungsoffensive", die eine "Umkehr des ökonomischen und finanzwirtschaftlichen Denkens" bewirken soll, wird um 200 Milliarden Forint - also immerhin 635 Mio. EUR erhöht. Das ist das Eineinhalbfache der gesamten jährlichen Staatsausgaben für die höhere Bildung in Ungarn - also alle Universitäten und Hochschulen zusammen, bei denen man seit 2010 insgesamt 40% reduziert hat.

Da in keiner öffentlichen Kasse in Ungarn 635 Mio. EUR einfach mal so herumliegen, wies Matolcsy an, dass die Stiftungsgelder "ausschließlich in Forintanleihen" zu erwerben und zu halten sind. Das heißt: die MNB druckt quasi das benötigte Geld in Form von Schuldscheinen, gibt diese an die Stiftungen aus, verbucht dies aber nicht unter Schulden, sondern als eine Investition unter dem "Kredit für Wachstum"-Programm. Eine weitere Letkion im Fach "unorthodoxe Finanzpolitik": nimm immer das Geld der anderen, aber tu so, als sei alles unneigennützig. O-Ton Matolcsy: "Ein neues Land braucht neue Institutionen, neue Lehrer, neues Lehrmaterial - eine neue Vision." Man muss nur zwischen den Zeilen lesen.

Während dieses Stammkapital aus permanent umgeschichteten zweiwöchigen MNB-Standardanleihen (das sind auch jene, in den die Banken ihr meistes Flüssiges parken) besteht, werden die Bildungseinrichtungen für die Finanzierung ihrer Bestimmung mit den Zinsen und eigenen Einnahmen auskommen. Diese Zinsen, Pi mal Daumen rund 30 Mio. EUR im Jahr, zahlt die MNB sozusagen an sich selbst, sie stellen jedoch reale Kosten dar, die über eine Schmälerung des Gewinnes der Zentralbank auch die öffentlichen Haushalte betreffen. Das muss die Sache aber wert sein.

In Matolcsys Wunderlehre klingt das Konstrukt noch logischer: "Die Zentralbank gibt kein öffentliches Geld aus, sondern ihr eigenes, das gedeckt wird von Krediten bzw. Geldschöpfung (wörtlich: pénzteremtés, engl: money creation, gemeint: Anleiheausgabe) - "aber nur so lange, so lange die Sache profitabel bleibt." - "So kann die Zentralbank daraus keine Verluste machen". Vielleicht kann der Gouverneur und Geldschöpfer Matolcsy uns neoliberal verblendeten Versagern in der Restwelt im Rahmen einer Vorlesungsreihe näher über diese "Gewinngarantie" aufklären. Um es zusammenzufassen: Fachkommentatoren bezweifeln mittlerweile die Zurechnungsfähigkeit Matolcsys, - nicht zum ersten Male seit 2010 übrigens.

 

Die fünf derart sagenhaft ausgestatteten Stiftungen dienen nicht nur als Träger der geplanten Bildungseinrichtungen, sondern auch als "Think tanks" oder "Forschungsinstitute" mit äußerst blumigen Aufgabenstellungen rund um "gesellschaftliche Verantwortung", "öffentliche Aufklärung in Finanzfragen" und - unvermeidlich - "nationale Interessen". Sie fungieren heute schon als konsequente Versorgungseinrichtungen für Parteikader, förderungswürdige Oligarchenkinder oder abberufene Botschafter. So setzt Matolcsy die ideologische Richtungsvorgabe des großen Vorsitzenden vom Abbau der "liberalen Demokratie" in eine gewinnbringende Praxis um - und erfüllt damit für Orbán seinen Zweck.

red. / cs.sz.

Mehr zu Wesen und Wirken von György Matolcsy in Der kleine Tiger mit dem roten Punkt: Warum nur "Matman" Nationalbankchef werden konnte

Der Pester Lloyd bittet Sie um Unterstützung.

 

 

 

 

Effizient werben im
Pester Lloyd!
Mehr.