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(c) Pester Lloyd / 47 - 2014   MEDIEN   17.11.2014

 

Der "Welt" war´s nicht genug: Ungarn erteilt Deutschland eine Lektion in "Presseethik"

Bei seinem kürzlichen Besuch in Bayern gab Ungarns Premier Orbán, gemeinsam mit seinem Gastgeber, Ministerpräsident Seehofer, ein Doppel-Interview. Bei Kaminzimmerathmosphäre bepinselten sich die Beiden gegenseitig ihre Bäuche: Standardfloskeln zu Europa, Demokratie und bilateraler Freundschaft. Dissenzen gab es lediglich beim Euro, ansonsten herrschte die EVP-übliche Harmonie zweier Brüder im Geiste. Dem Welt-Chef war das zu banal, er hakte nach. Das machte Orbán wütend.

Screenshot des Welt-Interviews. Hier geht´s zum Original.

Fragensteller diese Interviews in der Wohlfühlzone war Michael Backhaus, der seine investigativen Triebe neun Jahre als stellvertretender Chefredakteur bei der BamS (Bild am Sonntag) schärfte, bekanntlich dem Flagschiff für politischen Tiefgang in Deutschland. Das Interview, dass Orbán mit einem erheblichen Weichzeichner präsentierte, erschien in der Online-, jedoch nicht in der Druckausgabe. Nichtmal die lakonische Überschrift: "Ein Ungarn, ein Bayer - und kein Streit", die mutmaßlich nicht vom Interviewer stammt, konnte den Senf noch retten.

Der Chefredaktion war das Stück für die Print-Edition offenbar zu banal und nichtssagend und es liest sich tatsächlich wie das Auftragswerk einer PR-Agentur für die Imageaufbesserung. Man forderte Nachbesserung und ließ, gar kein so unüblicher Vorgang im Medienalltag, drei weitere Fragen an Orbán übersenden, mit der Bitte um alsbaldige (am besten Gestern) Antwort. Darin ging es um die Entlassungen im öffentlichen Medienbereich, die Wandlung des Freiheitskämpfers Orbán zum Architekten einer Autokratie und die, vorsichtig gesagt, zwiespältige Haltung gegenüber der EU.

 

Anstatt nun die Fragen zu beantworten, wie man das in Ungarn immer tut, sogar, wenn man gar nicht gefragt wird: 1. das Mediengesetz ist nach Diskussionen mit der EU für rechtens befunden worden und ein Vorbild für Europa, 2. Orbán ist noch immer ein Freiheitskämpfer für ein Europa der Nationen und damit ein Vorbild für Europa und 3. Ungarn ist und bleibt Europa (vorbildlich) verpflichtet und wer etwas anderes behauptet, ist ein enttäuschter Linker im Sold fremder Mächte, die durch das Herausziehen von Extraprofiten ungarische Familien angreifen, - anstatt also die übliche Ungarn-ist-das-Opfer-Kanonade abzufeuern, wollte Orbán einen Skandal daraus machen. Es wurde eine Posse.

Zunächst beschwerte sich Orbán bei seinem alten Freund und bayerischen Ex-Ministerpräsident Stoiber (in ersten Version schrieben wir Seehofer, wir bitten diese marginale Verwechslung zu entschuldigen) am Telefon bitterlich über die Unverschämtheit der "Welt"-Redaktion, ihm last-minute-Fragen für ein bereits genehmigtes Interview unterzuschieben. Der wiederum rief bei Springer-Chef Döpfner an und übermittelte die Unzufriedenheit seines ungarischen Gastes mit dem Springer-Flagschiff. Wissend um die Empfindlichkeit sogar deutscher Staatsmedien (wie z.B. dem ZDF) bei Interventionen von Politikern, erklärte Stoiber ganz ganz vorsichtig, dass er den Vorgang zwar ungeschickt findet, Orbán regelrecht gerast hätte, es aber - natürlich - "ganz bei der Redaktion" liege, wie sie nun verfahre. Döpfner, als studierter Musikwissenschaftler mit Zwischen- und Obertönen vertraut, nahm das zur Kenntnis.

Das reichte aber Orbán, dem unendlich eitlen, nicht. Er schickte am Wochenende seinen Pressestaatssekretär Bertalan Havasi vor, der erklärte, dass die Frage- und Terminstellungen der "Welt" einen "inakzeptablen Druck" auf Orbán (lies: und damit die Souverenität des ungarischen Volkes) darstellen. Das Interview sei von beiden Seiten bestätigt worden, die neuen Fragen seien eine Art Ultimatum, denn ohne die zusätzlichen Antworten gäbe es gar keine Veröffentlichung. Laut Havasi hätten die Redakteure sogar behauptet, "Orbán hat sich zu gut dargestellt" und polterte fort: "Auch wenn es leicht gewesen wäre, diese als Fragen kostümierten falschen Unterstellungen zu widerlegen, steht die Regierung auf dem Standpunkt, dass dieses Prozedere einen derartigen Druck ausübt, der sowohl nach diplomatischen wie nach presseethischen Standards nicht hinnehmbar ist."

Das Wort "Zensur" nahm Havasi nicht in den Mund, aber es stand schon im Raum. Havasi bestand in seiner wütenden Aussendung darauf, dass auch die unveränderte Online-Version nur aufgrund des ungarischen Drucks und nach Intervention der bayerischen Staatskanzlei veröffentlicht wurde. Das wäre dann aber doch Zensur gewesen. Denn die Politik darf den Medien nicht nur nicht vorschreiben, was sie nicht bringen soll, sondern auch nicht, was sie bringen soll. Klingt kompliziert, ist es aber nicht. Hat sich die "Welt" also nun dem politischen Druck gebeugt oder nicht? Wir wissen es nicht.

Der ungarische Staatsfunk, der nur noch eine Nachrichtenquelle, nämlich die amtliche Agentur MTI nutzen darf und deren Chefredaktion von Leuten besetzt ist, die nicht nur der Manipulation, sondern sogar der offenen Nachrichtenfälschung überführt sind, braucht nicht vorgeschrieben zu bekommen, was er senden soll und was nicht. Hier haben personnelle Säuberungen, innere Schere, vorauseilender Gehorsam und ein Führungsstil das Regiment übernommen, die noch die Kádárzeit in punkto Indoktrination überholen.

Der Rest läuft (wie) geschmiert. Regierungskritische Zeitungen werden finanziell über die Anzeigensteuerung ausgetrocknet, genehme konsequent und auch mit Steuergeldern gefördert. Für dieses subtile Modell gibt es ab kommendem Jahr sogar
eine eigene Regierungsbehörde. Fidesz-nahe Kreise bastelten sich ihr eigenes Medienimperium, kaufen notleidende Medien auf (z.B hier und hier), bekommen Sendefrequenzen zugeschanzt, die man anderen wegnimmt. Wen man nicht so einfach übernehmen kann, den kocht man weich, straft ihn - so wie aktuell wieder RTL Klub, "das so oder so bald Ungarisch sein wird" (Orbán) mit Steuern bis zu 50% auf die Umsätze ab.

Der Medienrat nutzt den
Zensurartikel 13 des ("an europäischen Standards ausgerichteten") Mediengesetzes ("ausgewogene" Berichterstattung in Nachrichtensendungen) für direkte politische Interventionen, auch zu Gunsten der informell verbündeten Rechtsextremisten. Am Fall origo.hu konnte man in Echtzeit erleben, dass in Ungarn direkte politische Intervention auf Medieneigentümer Erfolge zeitigt. Die Magyar Telekom, Tochter der teilstaatlichen Deutschen Telekom und Eigentümer des bis dato geschätzten Newsportals, feuerte den Chefredakteur nach einem Anruf von Kanzler Lázár, staatliche Aufträge für den Breitbandausbau waren wichtiger als die Aufdeckung von dubiosen Hotelaufenthalten des Orbán-Intimus` in der Schweiz. Natürlich dementieren sie, feige wie sie sind. Es sind interne Umstrukturierungen gewesen, was denn sonst!

 

Verleumdungskampagnen gegen Regierungskritiker, Whistleblower, ja ganze Bevölkerungsgruppen, die sich dem nationalen Gleichschritt widersetzen, sind - in Politik und Medien - die Regel geworden. Klagewellen gegen unabhängige Medien und Journalisten auch. Der bekannteste Hassprediger des Landes, ist ein Fidesz-Mitgründer und persönlicher Freund Orbáns.

Auch gegenüber ausländischen Presseleuten verhält man sich passiv-aggressiv: Ungarische Botschafter bestellen Journalisten zu Vier-Augen-Gesprächen ein, um ihnen "die Wahrheit" zu verkünden, eine ganze Horde von Regierungssprachrohren, angeführt von dem präpotenten Unterstaatssekretär Pröhle, intervenieren gegen "falsche Ungarnbilder" auf öffentlichen Veranstaltungen und in den Medien, denunzieren Regierungskritiker und lobbyisieren im Hintergrund. Regierungskommissar Simon ließ kürzlich durchscheinen, dass Medien keine öffentliche, sondern eine "nationale" (lies: parteiische) Rolle spielen müssten, sonst seien sie schlicht unnütz. Medien sollen der Politik Rede und Antwort stehen, nicht umgekehrt. Dabei wird ein regelrechter Neu- und Doppelsprech Orwellscher Prägung praktiziert.

Die Pressefreiheit in Ungarn ist heute eine Nischenveranstaltung, die Dank des Internets ein kaum unterdrückbares Trägermedium besitzt, das aber wiederum eine gewisse Proaktivität des erfordert. Nämlich Leser, nicht nur Konsumenten. Aktive, interessierte Bürger aber sind in Ungarn rar gesägt, Fidesz lebt von der passiven Masse noch mehr als deren Vorgänger. Das Volk wird geführt und bespielt. Nur die Vorlauten will man knebeln. Ein Volk, das sich nicht mehr wehrt, braucht man schließlich nicht fesseln.

Immerhin, die “Welt” tat Buße und ließ sich Außenminister Szijjártó am Sonntag ausweinen. Es sei so schwer gegen Voruteile anzukommen etc. etc. Titel des Interviews: “Wir fühlen uns ungerecht behandelt.” Der Minister hat Recht, eine gerechte Behandlung dieser Regierung sähe etwas anders aus. http://www.welt.de/politik/ausland/article134394604/Wir-fuehlen-uns-ungerecht-beha ndelt.html

cs.sz / red..

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