THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 40 - 2014 WIRTSCHAFT 30.09.2014

 

Vom Außenamt zum Handelshaus: Ungarns "neue Außenpolitik" kommt in Gang

Deutschland, vor allem die Orbáns Machtrausch gegenüber so duldsame CDU-Kanzlerin, bleibt Ungarns Zentralgestirn im tückischen Kosmos Europa - und damit Chefsache. Das ungarische Außenministerium soll unter Minister Szijjártó in Zukunft vor allem als Handels- und Werbeagentur agieren und Geschäfte aller Art im Rahmen der auch ideologisch belegten "Ostöffnung" vorantreiben. Europa macht Orbán zwar ungern, aber doch lieber selbst.

Der neue ungarische Außenminister, der 36jährige Ex-Orbán-Sprecher Péter Szijjártó, hat am Mittwoch auf einer Pressekonferenz sein ministerielles Führungsteam und Grundlinien der "neuen" Außenpolitik" vorgestellt, die sich "der neuen Weltordnung anpassen" müsse. Schwerpunkt sei die "Stärkung der ökonomischen Interessen", denn "Export sei der Schlüssel für das Wachstum", wofür sein Ministerium der Türöffner sein wolle und er daher nun "neue Grundlagen der ungarischen Außenpolitik unverrückbar und für immer" schaffen will. Mag sich hier mancher wundern, solche Ewigkeitsfoskeln sind in Budapest gerade sehr en vogue. Man weiß ja, wohin das führt...

Baggern um Deutschland auf allen Ebenen

 

Auch Szijjártó bekam schnell die Grenzen seiner Amtsvollmachten zu spüren, unter denen sein Vorvorgänger, János Martonyi, sichtbar litt. Denn am Dienstag fuhr nicht er als Außenminister, sondern Orbáns Kabinettschef Lázár in Berlin auf und hofft, dass Kanzlerin Merkel im ersten Quartal 2015, wahrscheinlich zum 25. Jubiläum des Deutsch-Ungarischen Freundschaftsvertrages nach Budapest zu einem offiziellen Besuch erscheint. Gerne hätte man einen solchen schon um die diversen Grenzöffnungsjubiläen gesehen, musste sich aber mit Bundespräsident und Ungarnkenner Gauck begnügen, der zwar inhaltlich alle Erwartungen der Gastgeber übererfüllte, aber bei weitem nicht so viel Prestige für das Orbán-Regime abwirft, wie die "mächtigste Frau der Welt."

Peter Altmaier, Bundesminister für "besondere Aufgaben" habe ihm Merkels Besuch im kommenden Frühjahr bestätigt, so Lázár, sichtlich stolz vor der heimischen Presse. Im Übrigen habe er den Merkel-Berater um "Unterstützung für unsere
kommende Reform im öffentlichen Dienst" gebeten.

Weiterhin traf Orbáns wichtigster Mann mit Klaus-Dieter Fritsche den für die Koordination der Geheimdienste zuständigen Staatssekretär und bot ihm die ungarischen Dienste an, denn "Ungarn könnte für Deutschlands Geheimdienste in der Ukraine-Krise und wegen der Nähe zum Balkan ein guter, strategischer Partner sein". Fritsche wollte jedoch lieber erstmal wissen, warum Ungarn so plötzlich die Gaslieferungen an die Ukraine eingestellt habe (obwohl er den Grund sicher schon kannte). Lázár konnte das erklären: Prioritäten, Energiesicherheit und auch die Ungarn wollen es im Winter schließlich warm haben. Dass der ungarische Universalgeheimdienst TÉK, Orbáns NSA, vor einem europäischen Gericht steht, dürfte möglicherweise auch für Gesprächsstoff zwischen den beiden gesorgt haben.

Mit Merkels EU-Chefberater Nikolaus Meyer-Landrut bereitete Lázár den noch im Oktober kommenden EU-Energie- und Klimagipfel vor, immerhin hat Ungarn die Visegrád Vier-Staaten (HU, CZ, SK, PL) gerade zu einem gemeinsamen Statement gebracht, die EU-Klimaziele abzulehnen, da sie "zu große Belastungen" für die Ökonomien der Länder bedeuten. Ungarn "hofft auf deutsche Unterstützung bei der Frage der Souveränität in Energieangelegenheiten". Man wolle, dass den Mitgliedsländern zumindest "eine freie Wahl der Mittel" bei Erreichung der Klimaziele zugestanden wird. Ungarn hat sich ja für das Mittel "30 Jahre Abhängigkeit von Russland" entschieden. Wir wüssten zu gern, wie das Meyer-Landrut, Berater der Energiewendekanzlerin findet...

Am Mittwoch traf sich Szijjártó mit der ebenfalls neuen deutschen Botschafterin in Budapest, Lieselore Cyrus, die im September aus Äthiopien an die Donau wechselte. Die offiziellen Verlautbarungen von dem Treffen drehten sich ausschließlich um die wirtschaftlichen Beziehungen, die für Ungarn existentiell sind, immerhin beschäftigen - laut MTI - bis zu 6.000 deutsche Firmen in Ungarn rund 300.000 Menschen, die ungarischen Exporte nach Deutschland stiegen gegenüber 2013 bisher schon um 14%. Den Umstand, dass 43% der deutschen Exportleistung in Länder außerhalb der EU geht, sieht Ungarn (nur rund ein Viertel, Zielvorgabe 50%) als Argument dafür, dass man mit seiner "Ostöffnung" fortfahren müsse.

Ob bei dem Gespräch auch zu den Themen NGO´s, europäische Werte, Bürgerrechte etc. konferiert wurde, bleibt - wie immer - ein Geheimnis der deutschen Vertretung, die im Unterschied zu ihren alles sorglos in die Welt posaunenden US-Kollegen noch getreu dem Kohlschen Motto "Wichtig ist, was hinten rauskommt", agiert. Nur es kommt eben seit Jahren nichts, es herrscht eine Art diplomatische Verstopfung. Manchmal wäre es daher auch hilfreich, dass vorne etwas rauskommt, damit das interessierte Volk weiß, warum´s hinten klemmt...

Schon am 26. September traf sich Permier Orbán mit Eckart von Klaeden, dem ehemaligen Staatsminister von Kanzlerin Merkel, der seit dem Vorjahr als Cheflobbyist (Leiter Politik und Außenbeziehungen) für die Daimler AG tätig ist und dessen abrupter Wechsel von der Politik in die Konzernspitze des deutschen Premium-Autobauers die Staatsanwaltschaft wegen des "Anfangsverdachts der Vorteilsnahme" ermitteln ließ. Solche Leute sind für Orbán geradezu wie gemacht, - wie sagte Navracsics doch gestern, "man teilt die gleichen Werte...".

Unstimmigkeiten mit US-"Freunden"

Die USA,
deren Präsident es kürzlich wagte, die NGO-Jagd in Ungarn auf eine Ebene mit den Zuständen in Ägypten zu senken, bezeichnete Szijjártó als "strategischen Verbündeten und Freund" und es sei geboten "auf die Stimmen der Freunde zu hören", aber "auch zu protestieren, wann immer es Bemerkungen gibt, die auf einer mangelnden faktischen Basis" geäußert wurden. Wegen dieser "fehlenden Fakten" hatte Szijjártó gleich einmal sehr mutig den Geschäftsträger der US-Botschaft in sein Ministerium einbestellt. Szijjártó wird aber noch mutiger, er kündigte an, Ende Oktober für "wirtschaftliche und politische Gespräche" nach Washington zu reisen. Orbán, der ebenfalls noch im Oktober die USA besuchen will, macht hingegen aus diversen Unstimmigkeiten und wegen "Terminnot" des Weißen Hauses einen Bogen um die US-Hauptstadt. Möglich, dass Ungarns Außenminister schwerer ins Weiße Haus kommt als, nur so z.B., ein bewaffneter Kriegsveteran...

Ukraine - Rumänien - Slowakei - Navracsics

Gemäß den Orbánschen Vorgaben, wiederholte Szijjártó, dass an der "Effizienz von Sanktionen" zur Lösung der Ukraine-Russland-Krise zu "zweifeln" sei und nur "Verhandlungen eine Lösung" bringen könnten.

Besonders wichtig werden ihm natürlich auch die Beziehungen zu den Ländern sein, in denen große ungarische Minderheiten leben (wiewohl das eigentlich eher zur Innenpolitik gezählt wird), der neue Minister stellte hier die "strategische Wichtigkeit" der Zusammenarbeit mit
Rumänien heraus und kündigte seine erste offizielle Auslandsreise in die Slowakei nach Bratislava für Anfang kommender Woche an.

Auch zum
EU-Kommissionskandidaten Navracsics hatte er ein Wort: Ungarn habe mit ihm den "bestmöglichen Kandidaten" entsandt und dass die "politischen Angriffe", die "auf ihn im Europäischen Parlament geführt" würden, "nichts mit seinen Ideen oder persönlichen Qualifikationen" zu tun hätten.

Außenministerium als Filiale des Amtes des Ministerpräsidenten: Personalien

Die Umwandlung des Außenministeriums als Wirtschaftsförderungsinstitut spiegelt sich auch im Führungsteam um den Minister. Der bis 2014 als Generaldirektor des Pharmakonzerns TEVA Magyarország tätige und frühere Handelsattaché László Szabó wird als parlamentarischer Staatssekretär zum Ministerstellvertreter. Die "Wirtschaftsdiplomatie" bekommt ein eigenes Staatssekretariat unter Levente Magyar, der bezeichnenderweise vom Amt des Ministerpräsidenten geschickt wurde, wo er die gleiche Rolle inne hatte.

Der bisher für die "Ostöffnung" (Mehr zu diesem komplexen Thema hier http://www.pesterlloyd.net/html/1245osteoffnungkuwait.html ) zuständige Vizestaatssekretär, István Íjgyártó, der davor auch als Botschafter in Moskau tätig war, wird für "Kulturdiplomatie" zuständig sein und Balázs Kohut, bisher Unterstaatssekretär für Wirtschaftsangelegenheiten, soll als Administrator die internen Belange des Außenamtes zusammenhalten. Gergely Prőhle wird als Vizesstaatssekretär für bilaterale Beziehungen als gewohnt arroganter "Erklärbär" vor allem den deutschssprachigen Raum bespielen und klar stellen, was man über Orbáns Ungarn zu denken und zu schreiben hat, wiewohl der ehemalige ung. Botschafter in Deutschland neulich bei einer Veranstaltung von Rechtsextremisten in Moskau auftauchte, sein Wirkungsfeld also offenbar - den Zeichen der Zeit folgend - ausweitet.

Noch am Donnerstag will sich der neue Minister mit den sieben im Parlament vertretenen Parteien sowie einigen seiner Vorgänger konsultieren, derweil seine Abteilungsleiter geschäftig in Jordanien, Saud-Arabien, Ägypten, Aserbaidshan, Kuwait, China, Russland usw. unterwegs sind, "Handelshäuser" eröffnen, um Investitionen werben, den "richtigen" Unternehmen entsprechende Aufträge sichern, zahlungskräftige Studenten werben und ungarische (EU)-Pässe gegen Staatsanleihen verkaufen.

 

Schließung der Botschaft in Tallin war ein Fehler

Der Chef des Parlamentskomitees für Äußeres, der vormalige, aber zurückgestufte Staatssekretär im Außenamt (zuständig für die Auslandsungarn) Zsolt Németh, kritisierte die "nicht genügend durchdachte" Schließung der ungarischen Botschaft in Tallin, Estland, die sowohl von einem "kulturellen Aspekt" als auch im Lichte des Russland-Ukraine-Konflikt "eine schlechte Botschaft" an die baltischen Staaten aussende. Die Entscheidung sollte man überdenken. Estland hatte im Gegenzug seine Botschaft in Budapest geschlossen, die Beziehungen sind seit dem frostig, zumal Ungarn gleichzeitig Kulturinstitute, Handelsdelegationen und Konsulate von Baku bis Shanghai einweiht. Doch Estland soll sich nicht grämen, Für billiges Öl aus Aserbaidshan hatte man 2012 sogar den Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit dem christlichen Armenien in Kauf genommen, was als "Axtmörderaffäre" in die Geschichtsbücher einging.

Szijjártós Vorgänger Navracsics hatte in seiner viermonatigen Amtszeit mehrere Konsulate schließen, andere öffnen lassen, rund 30 Botschafter ausgetauscht und 120 ministerielle Mitarbeiter entfernen bzw. versetzen lassen und dafür ganze Stäbe aus seinem ehemaligen Justizministerium sowie aus Orbáns Kanzleramt platziert.

Hinsichtlich der
offenen Vermögensfragen blieb Szijjártó hart, er müsse sich nicht für den "Erfolg meiner Eltern schämen", die nicht nur ihm, sondern auch "deren Enkeln" eine sichere Zukunft garantierten. Die Diskrepanzen in seiner Vermögensdeklaration, die längst nicht alle mit Geschenken aus dem Elternhaus erklärbar sind, blieben offen.

red. / cs.sz.

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