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(c) Pester Lloyd / 39 - 2014   MEDIEN  27.09.2014

 

Beste aller Notlösungen: Ein Berliner soll Ungarn zur EM 2016 führen

Pál Dárdai, langjähriger Spieler bei Hertha BSC, ist zum Interimstrainer der schwächelnden ungarischen Nationalmannschaft ernannt worden. Zu einer Dauerlösung mochte sich der behäbige und von Politgrößen durchsetzte Fußballverband MLSZ nicht durchringen, die trainerische Zukunft des 38jährigen hängt nun vom Abschneiden in der EM-Qualifikation in einer schwierigen Gruppe ab. Mit Rumänien wartet gleich ein - in mehrfacher Hinsicht - echter Angstgegner...
Pál Dárdai verströmte auf seiner ersten Pressekonferenz als Ungarn-Coach internationale Professionalität und einen kaum mehr gekannten Gewinner-Spirit. Was er davon umsetzen kann, ist freilich eine andere Frage...

Viele Links zum ungarischen Fußball am Ende dieses Beitrages

Dárdai ist sozusagen ein Hertha-Urgestein, denn an der Spree spielte der heute 38jährige aus Pécs schon seit 1997 Fußball und war zuletzt dort Cheftrainer der Jugendabteilung (U15). Mit 286 Bundesligaeinsätzen hält der Mittelfeldspieler bei seinem Verein einen Rekord. Bis heute ist er den Fans auch durch 55.000 Liter Freibier in Erinnerung, die er 2009 wegen einer verlorenen Wette ausschenken durfte. Aber auch im ungarischen Nationaldress absolvierte er viele Kilometer, in 61 Spielen mit 5 Toren.

Für Dárdai wird sein Debüt auf der Trainerbank der ungarischen Auswahl gleich zu einem Kracher, denn am 11. Oktober geht es in Bukarest gegen Rumänien, ein regionaler Klassiker, der durch primitive Hooligans immer zu einem Hochrisikospiel wird. Die letzten Begegnungen, auch in der WM-Quali hatte man das "Vergnügen" mit dem Nachbarn, verlor man allesamt glatt, Budapester Anhängerschaft randalierte sich durch Bukarest. Drei Tage später, am 14.10. geht es auf der windigen Insel bei Färöer weiter, Mitte November spielt man dann zu Hause gegen Finnland, danach wartet Griechenland.

Ungarn steht in der Quali-Gruppe F, trotz des für 2016 erweiterten Qualifikantenfeldes ein schwerer Gang bevor. Das Auftaktspiel in der Gruppe F gegen Nordirland verlor man 1:2, die anderen Gegner sind mit Finnland, WM-Teilnehmer und Europameister Griechenland und dem Erzrivalen Rumänien auch kein Zuckerschlecken. Nur die Färöer klingen nach einem zuverlässigen Punktelieferanten. Aber das dachten sich auch schonmal die Österreicher und wurden schmerzahft eines Schlechteren belehrt.

Schon Ende des Jahres wird sich also zeigen, ob das letzte Quali-Spiel, im Oktober 2015 in Athen gegen Griechenland, überhaupt noch eine Bedeutung haben wird. Ungarn hat sich zuletzt 1986 für die WM in Mexiko und 1972 für die EM in Belgien (4. Platz) qualifiziert, fehlte also bei den letzten 17 fußballerischen Großereignissen, während die Erinnerung an das Golden Team mit dem Ableben der letzten Protagonisten allmählich ikonisiert, - von einem Erbe kann man leider kaum sprechen.

Der komplette Gegenentwurf zum Typus Dárdai: Der Chef des nationalen Fußballverbandes MLSZ, OTP-Bankchef und Lebenmitteloligarch mit besten Beziehungen zu Orbán, Sándor Csányi, einer der reichsten Ungarn. Passt irgendwie prima in die Blatter-Liga...

Dárdais Vorvorgänger, Sándor Egervári, eher ein Trainerfunktionär alter Schule, wurde nach einem 1:8 gegen Holland und einem 0:3 gegen Rumänien noch während der letzten WM-Quali davongejagt und selbst die national gesinnten Fidesz-Fußballbosse wollten sich - trotz der mäßigen Erfahrungen mit Matthäus und Co. in den Vorjahren - nach dieser Demütigung unbedingt wieder internationale Kompetenz einholen.

Ungarn gehört zwar nicht direkt zu den EM 2021 Favoriten, könnte aber Austragungsort sein, eine Nichtteilnahme dann wäre eine Blamage von nationaler Dimension. Und auch Orbáns-Anspruch, in ein paar Jahren im neuen 325 Mio. EUR teuren Puskás-Stadion Europa und Champions League Finals austragen zu wollen, macht wenig Sinn, wenn ungarische Mannschaften dort nur "unter ferner liefen" oder überhaupt nicht auflaufen.

Dass man die geforderte internationale Expertise auch noch mit einem gebürtigen Ungarn verbinden kann, ist für die national betonte Nomenklatura ein Segen, wenn auch nur die beste aller Notlösungen, denn alles, was international halbwegs Rang und Namen hatte und bezahlbar gewesen wäre, dankend aber bestimmt abgesagt hatte.

Dárdai bringt Internationalität mit und nannte sie bei einer Pressekonferenz am Freitag auch Grundvoraussetzung für sein Trainer- und Betreuerteam, die Leute sollten "wenigstens einige Jahre auf internationalem Spitzenniveau gespielt haben", denn dort gibt es "andere Systeme" und eine "andere Mentalität". Auch sei ihm sein "innerer Instinkt" bei der Auswahl wichtig gewesen.

In Budapest bäckt man heute freilich mit kleinen Brötchen und so sprangen am Ende Imre Szabics von Strum Graz als Co-Trainer und József Andrusch (Honvéd, Vasas FC) als Towarttrainer dabei heraus, nebst einigen Spielern, die wie Hertha-Kollege Gábor Király oder der Hoffenheimer Ádám Szálai, sich bei Vorgänger Sándor Egervári kaum entfalten konnten und deren eigene Meinung dort auch nicht gefragt war. Szálai hatte für einen
Skandal gesorgt, als er nach den letzten großen Niederlagen der Funktionärsschicht vorwarf, die fußballliebenden Ungarn "jahrzehntelang verarscht" zu haben. Szálai wurde für das Nationalteam gesperrt...

Dárdai trat für ungarische Verhältnisse recht selbstbewusst vor die Medien und sagte, dass er der Trainer ist und daher seine Spielphilosophie gilt. Stichworte wie "Geschwindigkeit", "schnelles Umschaltspiel", "Geist, Charakter und Gewinnermentalität" fielen und die Aufgabenstellung, die Trends im Fußball, die man jahrelang verschlafen hat, gewinnbringend zu adaptieren. Freilich braucht Dárdai dazu die Mithilfe der Vereine, deren Führungen jedoch das schmucke, steuerfinanzierte Stadion heute oft wichtiger ist als die internationale Konkurrenzfähigkeit des Fußballs, der darin gespielt wird.

Ob sich Dárdai mit seine Expertise von einem mittelmäßigen Erstligaklub aus dem Land der Weltmeister als ungarischer Trainer durchsetzen wird, hängt also nicht nur von seinen Trainerleistungen und der Fortune der Spieler ab, sondern auch davon, ob die Funktionärselite beim MLSZ und in den Vereinen bereit ist, dem Sport wieder das Primat über vordergründiges Prestige und Besitzstände einzuräumen. Angesichts der Erfahrungen der letzten Jahre, schließlich ist Fußball heute in Ungarn ein "Cäsarenhobby", ist es gut, dass der Interimstrainer sich nicht so fest gebunden und somit einen eleganten Ausweg hat...

red. / a.l.

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