THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

Das Pester Lloyd Archiv ab 1854

 

Hauptmenü

 

 

 

 

(c) Pester Lloyd / 38 - 2014 POLITIK 16.09.2014

 

Orbán Legends: Beginn der Herbstsaison des Parlamentes in Ungarn

Der Premier kehrte einmal mehr den Volkswohltäter heraus, der geplante Forex-Umtausch wird die Schulden "ungarischer Familien um ein Drittel reduzieren". Auch die Bewilligung der EU-Milliarden sei ein Erfolg seiner Politik. Die Opposition versuchte nachzuweisen, dass die Regierung längst die Kontrolle über Staatsfinanzen und -schulden verloren hat und das Land weiter ins ökonomische und soziale Chaos stürzt. Das Wichtigste und Nebensächliches aus dem Parlament...

Fischauge, sei wachsam! Das auf 199 Sitze verkleinerte Parlament im Fokus der amtlichen Kamera von MTI.

 

Als Beleg für die wirtschaftlichen Erfolge seiner Regierung zählte Orbán ein weiteres Mal die von seinen Statistikern vom Zentralamt für Legendebildung zusammengezimmerten Kennzahlen auf, wonach die Beschäftigung auf einem 20-Jahres-Hoch und die Arbeitslosenrate unter 8% liegt. Die Investitionen stiegen im zweiten Quartal um ein Fünftel, der Ausstoß der Industrie erreichte den höchsten Stand seit drei Jahren. Am Ende dieser Legislaturperiode werde der Anteil der Industrieproduktion am BIP EU-weit der höchste sein. Hintergründe zu den Wachstumersfolgen im "Tigerstaat". Mehr zum Beschäftigungswunder und weiterer amtlicher Zahlensalat.

Hinsichtlich des auf einem Urteil des Obersten Gerichtshofes fußenden Gesetzes, wonach Banken Profite aus "unfairen", einseitigen Vertragsänderungen an die Kunden zurückzahlen müssen, wurden Fristen in den Raum gestellt. Die Banken sollen sich bis Jahresende mit ihren Kunden vergleichen, jene Kreditinstitute, die glauben, sie könnten die Fairness ihrer seit 1.Mai 2004 vorgenommenen Vertragsänderungen vor Gericht belegen, bekommen Zeit bis Mitte Februar. Bisher wurden Hunderte solcher Verfahren angestrengt, die meisten abgewiesen, einige ans Oberste bzw. das Verfassungsgericht weitergeleitet, wie Finanz- und Wirtschaftsminister Varga meint, "grundlos".

In Brüssel rascheln die Banken...

Orbán verteidigte die rückwirkende Aktion als "im Interesse des Allgemeinwohls", Banken seien "nicht von Natur aus schlecht", aber sie müssten kontrolliert werden, was gelinge, wenn "wir zusammenarbeiten". Wie sich der Regierungschef diese Kontrolle vorstellt, ist hier an einem bald Schule machenden Beispiel erklärt. Die Rückzahlung von nicht mehr als gerechtfertigt eingestuften Gewinnen wurde kurzerhand auch auf Forintkredite ausgeweitet, was die Bürde für die Banken des Landes auf über 3 Mrd. Euro erhöht. Der zum Jahresende anlaufende Zwangsumtausch der Fremdwährungskredite dürfte noch einmal so viel Kosten verursachen und ein halbes Dutzend den Abschied aus Ungarn erleichtern, sie dürften - samt ihrer Kunden und deren Einlagen - dann zu einer preiswerten Beute für Orbáns Ambitionen werden.

Orbán warnte in diesem Zusammenhang, dass er "immer noch Geraschel in Brüssel" hört, denn die "Banken sind mächtig, tapfer und ausdauernd", aber: "meine Regierung ist vorbereitet". Der Ministerpräsident bezieht sich damit auf eine von seinen Fan-Kreisen in die Welt gesetzte "orbán legend", die darauf beruht, dass "einflussreiche Kreise" der EU 2012 versucht hätten, "Orbán (wegen seiner Bankensteuern!) aus dem Amt zu putschen" (Kövér) und nur die "Friedensmarschbewegung", also die Liebe des Volkes das verhindert hatte. Hier mehr dazu.

Partei- und Planwirtschaft erhält Label "Konsumentenschutz"

Der Premier fuhr mit "der Essenz unserer Politik" fort, der Reduzierung der Energie- und Wohnnebenkosten, die, so behauptet er, "auch einen positiven Einfluss auf die Ökonomie insgesamt" hätten (Kaufkraft, geringe Teuerung) und kündigte für Oktober eine weitere Absenkung der Fernheizungstarife um 3,3% an. Zu den im Raum stehenden Vorwürfen, die im Zuge der Profitdeckelung vorgenommenen Verstaatlichungen u.a. von E.ON-, RWE- und anderen Tochtergesellschaften seien wegen
überhöhter Kaufpreise zum massiven Schaden der Allgemeinheit, ging Orbán nicht einmal ein und kündigte die Fortsetzung seines Kurses mit einem Gesetz über den "Konsumentenschutz" an, das als zentrale Säule die Energieversorgung sowie die Wohnnebendienstleistungen zu einem staatlich monopolisierten Non-Profit-Sektor erklären soll. Ein weiterer Beitrag zum Neusprech-Wörterbuch.

Fidesz “beschützt” norwegisches Geld

Einen erwarteten Kommentar zur Attacke auf die NGO´s überließ Orbán seinem Fraktionschef Antal Rogán, der meinte, dass die Regierung "es niemandem erlauben wird, Geld zu stehlen, selbst wenn es norwegischese Geld ist". - "Außer der Regierung selbst..." hallte es von linker Seite dazwischen, ein kostenpflichtiger Ordnungsruf des Sitzungsvorstehers war die Folge. Orbán selbst hatte schon am Freitag im Rundfunk klargestellt, dass er nicht geneigt ist, sich für die Handlungen seiner Vollstrecker verantwortlich zu fühlen.

Von der durch Orbáns rechte Hand Lázár angekündigten
"2. großen Staatsreform" war am Montag nicht viel zu hören, allerdings ist es Usus geworden, den Abgeordneten die Beschlussvorlagen auch für epochale Gesetzesänderungen möglichst nur Minuten vor den mehrfach verkürzten gesetzlichen Fristen auf die Bänke zu werfen. So dürften vor Weihnachten noch einige Überraschungen ins Hohe Haus stehen.

MSZP: "Orbán braucht den Kampf", aber die Opposition braucht immer noch ein Konzept...

Der neue MSZP-Vorsitzende, József Tobiás, hatte am Montag seinen ersten Parlamentsauftritt als Oppositionsführer (die MSZP liegt nach Mandaten noch knapp vor Jobbik) und übersetzte Orbáns Definition von "Gemeinwohl" mit "Betrug an der Gesellschaft", denn Orbán missbrauche die Armen und schüchtere die Bürger ein. Er wolle gar keine soziale Balance, denn sein politischer Plan lebt vom "permannten Kampf". Tobiás beantragte die Einrichtung von Untersuchungsausschüssen zu den Verfehlungen im Gesundheitswesen sowie bei den öffentlichen Aufträgen. Letztere vor allem auch mit Blick auf die kommende EU-Budgetperiode und den dabei zu vergebenden
34,5 Mrd. EUR öffentlicher Gelder.

Tobiás` Rede blieb ansonsten allgemein und etwas blass. Bisher ist nichts davon zu spüren, dass die Taktik der Fundamentalkritik an Orbán durch ein konstruktives Angebot an die Bürger, also eine einleuchtende Alternative zu Orbán ersetzt werden würde, wie das der neue Vorsitzende bei seiner Wahl ankündigte.

Oppositionskonsens: Orbáns Politik ist nur Show, in der Realität wächst die Armut

Die linksliberale Partei "Gemeinsam 2014 - Dialog für Ungarn", deren Gründer und Frontmann, Ex-Premier Bajnai sich gerade als Vorstandsvorsitzender eines französischen Infrastrukturkonzerns nach Paris und in die Privatwirtschaft verabschiedete, rechnete vor, dass die rund 30% Reduzierung der Forex-Schulden durch das Umtauschgesetz nicht einmal die Kreditverteuerung ausgleicht, die Schuldner aufgrund der unseriösen Währungs- und Finanzpolitik und dem damit verbundenen Wertverfall des Forint hinnehmen musste. Rechnet man dazu noch die realen Einkommensverluste der unteren Hälfte hinzu, wird deutlich, dass die Masse ein schlechtes Geschäft mit Orbán machen muss, während die höheren Einkommensbezieher priviligiert wurden. Die ganze Forex-Umtausch-Show diene Orbán nur dazu, "gegen Banken zu hetzen und die Schuldner an der Nase herumzuführen". Kompromisse zwischen Banken und Kunden sowie ein adäquates Einkommen durch echte Arbeitsplätze sei letztlich die einzig haltbare Lösung in diesem Fall.

Der Chef der "Grünen", LMP, András Schiffer, vor allem auf gleichen Abstand zwischen den Blöcken bedacht, wies in seiner Entgegnung auf den Umstand wachsender Armut in Ungarn hin, was doch - vor allem im Vergleich mit den Nachbarn - einen Schatten auf die Erfolgsbilanz des Premiers werfe.  Mehr dazu in:
Elend mit System.

Die Demokratische Koalition von Ex-Premier Gyurcsány will den Abstimmungen über die Forex-Gesetze gleich ganz fernbleiben, weil sie "höchstwahrscheinlich verfassungswidrig" sind, die Regierung wolle eine "verfassungswidrige Lösung für ein Problem, das sie selbst geschaffen hat".

Orbán verspricht geringere Schulden am Jahresende

Auf eine Anfrage aus Reihen der neonazistischen Jobbik versprach Orbán, dass die Schuldenquote am Jahresende wieder unter dem Wert des Vorjahres liegen werde. (Ende 2013 79,1% des BIP, Ende 2. Hj. 2014 = 85,1% des BIP). Man müsse hier noch auf die "genaue Berechnung" warten, die Regierung stehe aber zu ihrem Ziel der Schuldentilgung, hieß es hörbar bescheidener als die Ankündigung vor vier Jahren, die Quote "binnen Jahren" auf 50% zurückzuführen.
Mehr zur Finanz- und Haushaltsführung der Regierung.

Keine Ungarn im “Islamischen Staat”

Eine weitere Anfrage betrag das vor der Parlametnsitzung zu Ende gegangene Treffen des Komitees für Nationale Sicherheit, worin es um die Ukraine und die dort lebenden “Ungarn” ging sowie um die Frage, ob ungarische Staatsbürger bei den Terrorgruppen von “Islamischer Staat” kämpfen. Nach Erkenntnissen des Antiterrorzentrums TÉK (dessen verfassungsgemäßes Handeln vor einem EU-Gericht behandelt wird) ist das nicht der Fall, man beobachte jedoch einige Dutzend Verdächtige im Lande, sehe das Hauptproblem aber im Transit von potentiellen Kämpfern aus westlichen Ländern durch Ungarn und den Balkan in die Türkei und weiter in die Kampfzone. Details zu Recherchemethoden und der Identität der Verdächtigen blieben den Abgeordneten aus Geheimhaltungsgründen natürlich verwehrt.

Keine parlamentarischen Untersuchung von Matolcsys Kaufrausch

 

Ebenfalls zur Sprache kam oppositionsseitig der Erwerb des Eiffel Palais´ seitens der Ungarischen Nationalbank. Laut einem neuen Gutachten lag der Kaufpreis von 45,3 Mio. EUR knapp 15 Mio. EUR über den Kosten für Erwerb und Ausbau durch den Vorbesitzer. Die Opposition zieh MNB-Chef Matolcsy, Steuergelder vernichtet zu haben, noch dazu - gesetzeswidrig - in undurchsichtige Off-Shore-Kanäle und verlangte wiederholt seinen sofortigen Rücktritt. Eine gewünschte Anhörung durch Parlamentarierer lehnte Matolcsy als "Angriff auf die garantierte Unabhängigkeit der Nationalbank" ab. Die Veröffentlicher des Gutachtens (das ung. WikiLeaks www.atlatszo.hu), forderte Matolcsy unter Androhung von Rechtsmitteln auf, "den falschen Eindruck" zurückzunehmen und darzustellen, dass es sich um "einen fairen Preis" handelte.

Linkischer Abgeordneter der Linken lässt sich wegen Taschengeld erwischen...

Während der Sitzung wurde, auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft, der MSZP-Abgeordnete Dezsö Hiszékeny seiner Immunitätsrechte entledigt. Der frühere Vizebürgermeister des XIII. Bezirks (bis dato der einzige, der von einem MSZP-Mann regiert wird) wird der Korruption und des Amtsmissbrauchs beschuldigt, er soll von einem Geschäftsmann rund 16.000 EUR angenommen haben, damit dieser ein in Bezirkseigentum befindliches Geschäft anmieten kann.

Die Regierungsfraktion nutzte die Sache einmal mehr, um die moralische Verworfenheit der Linken anzuprangern. Und die Regierungsfraktion hat Recht. Wer sich wegen lächerlicher 5 Mio. Forint erwischen lässt, hat in diesem Parlament sicher nichts zu suchen...

red. / m.s., cs.sz.

Der Pester Lloyd bittet Sie um Unterstützung.

 

 

 

 

Effizient werben im
Pester Lloyd!
Mehr.